Antisemitismus, Neonazismus und Rassismus in der DDR und die Folgen bis heute
Vortrag mit Dr. Harry Waibel - Eine Veranstaltung des Referats gegen Faschismus.
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12.11.2015 von 20:00 bis 22:00 |
Wo | HS 1221, Uni Freiburg |
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Anhand von Materialien aus Archiven der ehemaligen DDR belege ich über 8.500 politische, also neonazistische, antisemitische und rassistische Propaganda- und Gewaltstraftaten, die im Wesentlichen von der SED, von der Geheimpolizei (MfS) und der Volkspolizei geheim gehalten wurden. Davon sind etwa 7.000 Angriffe neonazistisch, etwa 900 Angriffe sind antisemitisch, davon etwa 145 Friedhofsschändungen und etwa 700 „Vorkommnisse“ sind Ausdruck des latenten und manifesten Rassismus. Diese 700 „Vorkommnisse“ beinhalten über 200 rassistische Pogrome und pogromähnliche Auseinandersetzungen, bei denen unzählige Ausländer Opfer von Rassisten und Neonazis geworden sind. Insgesamt gab es dabei 10 Tote und Tausende von Verletzten. Die Angriffe wurden in den allermeisten Fällen von jüngeren Männern durchgeführt und fanden in über 400 Städten und Gemeinden der DDR statt.
Entgegen der viel verbreiteten Ansicht in Hoyerswerda hätte es 1991 das erste rassistische Pogrom in der deutschen Nachkriegsgeschichte gegeben, ist es tatsächlich so, das in Erfurt im August 1975 das erste rassistische Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte stattgefunden hat, als algerische „Vertragsarbeiter“ über mehrere Tage hinweg von Mobs durch die Stadt gejagt wurden. Der erste Angriff deutscher Rassisten auf ein Wohnheim, ähnlich dem von 1991 in Hoyerswerda, fand im Februar 1977 in Dessau statt, als ein Wohnheim für algerische Arbeiter mit Steinen angriffen wurde. Für die DDR sind über 30 rassistische Angriffe auf Wohnheime von ausländischen Arbeitern belegt. In Merseburg wurden im August 1979 zwei Kubaner getötet und anschließend sorgte die Partei- und Staatsführung der DDR mit einem Verbot dafür, dass Ermittlungen durch Staatsanwaltschaft und Volkspolizei nicht stattfanden. Es wird noch juristisch geprüft, ob und wie ein neues Ermittlungsverfahren zur Aufklärung der Umstände des Todes der beiden kubanischen Arbeiter möglich ist.
Diese rechte Bewegung in der DDR wird bis in die Gegenwart hinein verdrängt und verleugnet und damit wird die Reflexion der Ursachen und Folgen von Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus im Osten mindestens erschwert. Und das obwohl seit 1990 belegt ist, dass in den östlichen Bundesländern die Anzahl der Angriffe auf Ausländer relativ gesehen, also gemessen an der Zahl der Bevölkerung, 2- bis 3-mal höher ist als im Westen.
Im Rahmen des Vortrags soll versucht werden eine Brücke zu heutigen Entwicklungen (PEGIDA, fremdenfeindliche Anschläge, …) im Osten Deutschlands zu schlagen und im Anschluss genug Raum zur Diskussion gegeben werden.
Auszüge aus der Vita des Referenten:
Ab 1968 hatte Harry Waibel Kontakt zur APO in Lörrach und Basel, zur Marxistischen Arbeiterschule Lörrach und zum Repulikanischen Club Lörrach-Haagen. Von 1970 bis 1972 war er Mitglied der Jungsozialisten in der SPD.
1973 war Waibel Mitbegründer der Bürgerinitiative gegen Atomkraftwerke (AGAS) in Schwörstadt und Mitbegründer eines Betriebsrates und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender in einem Lörracher Unternehmen.
Danach bereitete er sich von 1974 bis 1975 in Freiburg auf das Begabten-Abitur am Kolping-Kolleg vor. Dieser Schulbesuch und die folgenden Studiengänge bis einschließlich der Promotion sind von der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung finanziert worden.
Von 1975 bis 1979 absolvierte Harry Waibel ein Lehramtsstudium an der PH Freiburg für Deutsch, Geschichte und Soziologie. Während dieser Zeit war er an der PH Mitglied der „Linken Liste“ und gewähltes Mitglied des Studierendenrats. In Freiburg und Südbaden beteiligte er sich am Häuserkampf und antifaschistischen Aktionen sowie am Kampf gegen das geplante AKW Wyhl und das geplante Bleiwerk in Marckolsheim (Elsass). Ab der Zeit war er Mitglied des undogmatischen Sozialistischen Büro (SB) Offenbach.
Ab 1979 studierte Harry Waibel Politische Bildung an der Freien Universität Berlin in den Fächern Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie, d. h. Studium der Geschichte, der Sozialpsychologie und -philosophie des deutschen Faschismus und den Folgen.
Beginn der politischen und wissenschaftlichen Aufklärung zum Antisemitismus.
1988 Mitbegründer der „Linken Liste Freiburg“. Fortsetzung und Abschluß des Studiums der Politischen Bildung an der Freien Universität Berlin als Diplom-Pädagoge.
Von 1990 bis 1996 forschte Waibel im Rahmen seiner Promotion am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin zum Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus in der DDR.
Seit 1997 arbeiter Harry Waibel freiberuflich als Historiker zum Nazismus, Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland.
Monographien:
Rechtsextremismus in der DDR, Köln, 1996.
Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR, Frankfurt/M. 2011.
Rassisten in Deutschland, Frankfurt/M. 2012.
Der gescheiterte Antifaschismus der SED – Rassismus in der DDR, Frankfurt/M. 2014.